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„Darauf haben die Frommen gewartet“

Interview mit Professor Dr. Hans Rechenmacher, Professor für Biblische Einleitung an der Universität Würzburg, zu den Weihnachtserzählungen der Bibel – Warum Lukas die Geburt Jesu ausführlich beschreibt und wieso in den Krippen Ochs‘ und Esel nicht fehlen dürfen

Würzburg (POW) Ochs‘ und Esel dürfen bei keiner Krippe fehlen. Und auch die Hirten gehören bei der bildlichen Darstellung von Jesu Geburt fest dazu. Woher diese Tradition rührt und weswegen der Evangelist Lukas als einziger die Heilige Nacht in Betlehem beschreibt, ist eines der Themen, über die der Würzburger Bibelwissenschaftler Professor Dr. Hans Rechenmacher im folgenden POW-Interview spricht.

POW: Der Advent hat begonnen, Weihnachten ist nicht mehr weit. Welche biblischen Texte empfehlen Sie als Bibelexperte zur Einstimmung auf die Weihnachtszeit?

Professor Dr. Hans Rechenmacher: Neben dem Johannesprolog und den beiden Kindheitsgeschichten Jesu bei den Evangelisten Lukas und Matthäus, würde ich als Alttestamentler natürlich besonders jene prophetischen Texte empfehlen, die von der Geburt eines Heilskönigs oder dem Anbruch eines Friedensreiches handeln, etwa Jesaja in den Kapiteln 7; 9,1-6 und 11,1-16; dann noch im Buch Micha 4,1-5 und 5,1-5.

POW: Kindheitsgeschichten Jesu finden sich nur bei Lukas und Matthäus. Warum gerade bei diesen beiden Evangelien?

Rechenmacher: Das hat mit bestimmten theologischen Absichten der betreffenden Autoren zu tun. Sie verwenden ja das Markusevangelium schon als Quelle, befinden sich also bereits in einem überlieferungsgeschichtlich fortgeschrittenen Stadium. Sie verlängern gewissermaßen den Aufriss der Jesusgeschichte, wie ihn Markus bietet – von der Taufe am Jordan bis zur Auferweckung –, nach hinten. In den Ereignissen um seine Geburt können sie wichtige Elemente für die Antwort liefern auf die Frage, wer Jesus eigentlich ist, wo sein – göttliches – Geheimnis liegt. Nebenbei bemerkt haben wir ein ähnliches Phänomen im Johannesevangelium. Dort findet sich keine Kindheitsgeschichte, aber eine „Verlängerung nach hinten“, und zwar maximal, einen Anfang im Absoluten: Der Johannesprolog setzt unmittelbar bei Gott ein. In Christus, im Offenbarer, ist der Ursprung aller Dinge gegenwärtig. Er kommt direkt aus dem Herzen des Vaters.

POW: Matthäus beginnt sein Evangelium mit einem ausführlichen Stammbaum Jesu. Was möchte er damit den Lesern sagen?

Rechenmacher: Der Anfang bei Matthäus erinnert an das Buch Genesis mit seinen vielen Stammbäumen und an die Chronikbücher, die nochmals mit einem Stammbaum von Adam an ganz neu beginnen. Matthäus periodisiert die alttestamentliche Geschichte in jeweils 14 Generationen – von Abraham bis David, von David bis zum Exil, vom Exil bis Jesus. Jesus ist der neue „Davidssohn“. Seine Stelle in der periodisierten Heilsgeschichte zeigt: Mit ihm muss sich wieder eine so entscheidende Wende ereignen wie mit David und mit dem Exil.

POW: Aus welchem Grund verweist Matthäus immer wieder auf das Alte Testament, zum Beispiel den Propheten Jesaja, wo es heißt: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben?“

Rechenmacher: Schon der gerade angesprochene Evangelienanfang verknüpft Jesu Vorgeschichte mit der Geschichte Israels. Die Botschaft lautet also: Jesus bringt die Erfüllung der bisherigen Geschichte. Das soll auch anhand der Verweise auf prophetische Texte dem Leser deutlich werden. Man spricht hier von Erfüllungszitaten, etwa auch zur Einleitung der oben zitierten Stelle: Bei Matthäus 1,22 lesen wir: „Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat.“ Diese Formel ist typisch für die Schriftgelehrsamkeit des Matthäus.

POW: Das Lukasevangelium enthält als einziges eine ausführliche Schilderung von Jesu Geburt. Alle anderen haben zu diesem Thema nichts zu bieten. Wieso?

Rechenmacher: Im Prinzip verfolgt Lukas mit dem Anfang seines Evangeliums ein ähnliches Ziel wie Matthäus. Auch ihm geht es darum, zu zeigen, dass in Jesus Erfüllung einer bestimmten Erwartung geschieht. Allerdings ist es weniger die Schrift als vielmehr lebendige Offenbarung, die anzeigt: Das, was alle jüdischen Frommen seit je her erwartet haben, ereignet sich jetzt. Das ist der Inhalt der Engelbotschaft an Zacharias, an Maria, an die Hirten. Davon zeugen die im Geist gesprochenen Prophetien des Zacharias, des Simeon und der Hanna. Also nicht so sehr die Heiligen Schriften des Judentums wie bei Matthäus, sondern eher prophetische Gestalten und Engel sind bei Lukas in den Kindheitsgeschichten Medium seiner Botschaft. Was die Schilderung von Jesu Geburt angeht, so bietet sie Lukas unter anderem die Möglichkeit, eindrucksvoll einen Kontrast zwischen dem strahlenden Augustus und dem armseligen Jesuskind aufzubauen: Nicht jener, sondern dieser ist in Wahrheit Retter und Friedensbringer. Anhand der Krippe und der Hirten kann der „Evangelist der Armen“ schon an dieser Stelle eines seiner Hauptthemen zur Geltung bringen.

POW: Lukas erwähnt im Zusammenhang mit der Geburt Jesu Engel. Auch Josef und den Sterndeutern erscheinen sie im Traum. Welche Rolle haben sie?

Rechenmacher: Im Hintergrund des „Engels des Herrn“ – zum Beispiel in Lukas 1,11 – beziehungsweise des griechischen Originals steht der hebräische Wort mal’ak YHWH, der Bote Jahwes. Es geht ursprünglich um Theophanie, das heißt: Gott lässt sich sehen und zwar zunächst Gott selbst. Später wird ein solches Konzept inakzeptabel – Gott kann man nicht sehen! – und an die Stelle Gottes tritt ein himmlisches Wesen. Eine ausgesprochene Engellehre mit Namen und ähnlichem findet sich erst sehr spät. Was das Alte Testament betrifft, tauchen die Namen Michael und Gabriel (Buch Daniel) sowie Rafael (Buch Tobit) erst in Texten aus der hellenistischen Epoche auf, also in der Zeit nach 300 vor Christus. Wenn Sie nach der Rolle der Engel fragen, treffen Sie den entscheidenden Punkt, denn das hebräische Wort mal’ak ist zunächst ganz profan für den Boten in Gebrauch. Die Engel in den Kindheitsgeschichten haben in der Tat genau diese Aufgabe, Botschaften aus der himmlischen Welt auszurichten.

POW: Die Geburt von Johannes und Jesus wird jeweils von einem Engel angekündigt. Warum findet sich auch im Alten Testament dieses Motiv vielfach?

Rechenmacher: Gottes durch Engel vermittelte Botschaften im Alten Testament sind prinzipiell heilvoll. Wenn bei Lukas die Geburt Johannes‘ und Jesu von Engeln angekündigt wird, dann in bewusster Anknüpfung an die entsprechenden biblischen Verheißungstexte von bedeutungsschwerer Nachkommenschaft: etwa für den Erzvater Abraham im Buch Genesis, Kapitel 16, oder für Manoach, den Vater des Simson, im Buch der Richter, Kapitel 13.

POW: Was macht Betlehem aus alttestamentlicher Sicht besonders wichtig?

Rechenmacher: Betlehem ist im Alten Testament der Herkunftsort Davids. Die Zeit und die Person Davids sind von der Nachwelt immer mehr idealisiert worden. Er ist der Maßstab, mit dem alle nachfolgenden Könige gemessen wurden, das heißt: er ist der König des Gottesvolkes, der Auserwählte, der Gesalbte, was Messias oder Christus bedeutet. Der erwartete Heilskönig muss natürlich Nachkomme Davids sein. Von daher versteht sich die Prophetie im Buch Micha: „Aber du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen.“ (Mi 5,1)

POW: Welche Bedeutung haben aus theologischer Sicht die Hirten, die im Lukasevangelium auftreten?

Rechenmacher: Zunächst gehört das Hirtenkonzept zu Betlehem als Stadt Davids. Denn von ihm wird im Alten Testament als erstes erzählt, dass er sich bei seiner Herde aufhält. Und dann dürfte es der schon erwählten lukanischen Vorliebe für die „kleinen Leute“ entgegenkommen, wenn die ersten Adressaten der Botschaft der Engel von der Geburt des Retters an Hirten ergeht.

POW: Welche biblische Hintergründe gibt es für Ochs‘ und Esel, die in keiner Krippendarstellung fehlen? Im Neuen Testament sind sie im Zusammenhang mit der Geburt Jesu nicht erwähnt.

Rechenmacher: Dieses in nachbiblischer Zeit „hinzuerzählte“ Detail ist belegt in einem sehr späten, vielleicht erst mittelalterlichen Text, einem als Pseudo-Matthäus bezeichneten Kindheitsevangelium, und zwar als Erfüllung von Jesaja 1,3: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“

POW: Jesus wird in den Evangelien als Sohn Davids und König der Juden bezeichnet. Woher rühren diese Titel?

Rechenmacher: Beide Titel haben mit der Erwartung eines messianischen Heilskönig zu tun, der nach der biblischen Figur des Betlehemiten David konzipiert ist. Wir wissen aus den Büchern des Flavius Josephus, dass im Palästina der römischen Zeit verschiedene Königsprätendenten mit messianischem Anspruch aufgetreten sind. Vom königlichen Messias wurde erwartet, dass er in seiner Stadt Jerusalem die Herrschaft ergreift. Im Prozess vor Pilatus ist Jesus sehr wahrscheinlich mit einer Messiaserwartung konfrontiert worden. Die historisch plausible Aufschrift über dem Kreuz „Jesus von Nazaret, König der Juden“ gibt also den Namen und das Vergehen des Hingerichteten an. Bei Matthäus bildet dieser Titel eine Verbindung zwischen Anfang und Ende des Evangeliums, wie übrigens auch auf andere Weise der Emmanuel-Name. Jesus wird schon vor seiner Geburt als der von Jesaja verheißene „Gott mit uns“ qualifiziert und gibt am Ende als Auferstandener den Jüngern die Zusage: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20)

POW: Eine persönliche Frage zum Schluss: Welches Kirchenlied, das in der Weihnachtszeit gesungen wird, gibt in Ihrer Sicht die biblische Botschaft von Weihnachten am besten wieder?

Rechenmacher: Wenn Sie schon so persönlich fragen, muss ich gestehen, dass meine Vorlieben diesbezüglich sich nicht so sehr nach der Übereinstimmung des Liedtextes mit der biblischen Botschaft richten. Da geht es doch eher um Musik, Kindheitsassoziationen und dergleichen. Zu meinen Favoriten gehört auf jeden Fall „Zu Betlehem geboren“.

Zur Person:

Hans Rechenmacher (46) ist in Triftern (Niederbayern) geboren. Er studierte von 1981 bis 1986 in München und Jerusalem Katholische Theologie und schloss ein Spezialstudium für Rabbinische Literatur in Jerusalem an. 1988 wurde er für das Bistum Passau zum Priester geweiht. Anschließend wirkte Rechenmacher als Kaplan in Landau an der Isar. 1991 begann er in München sein Promotionsstudium, das er 1994 als Doktor der Theologie abschloss. 1996 folgte die Habilitation für Alttestamentliche Einleitung und Exegese und Biblisch-Orientalische Sprachen an der Universität München. Von 1997 bis 2002 war Rechenmacher Privatdozent in München, anschließend bis 2004 außerordentlicher, assoziierter Professor an der Universität Stellenbosch (Südafrika). Seit 2006 ist Rechenmacher Professor für Biblische Einleitung und Biblische Hilfswissenschaften an der Universität Würzburg.

(4908/1477; E-Mail voraus)

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